Jean Paul

(Johann Paul Friedrich Richter)

1763 – 1825                                       

Dieses Entbehren und Verachten des Stoffs macht die jetzige Dichtkunst immer mehr der Musik ähnlich, ohne Sinn umherrinnend; der poetische Flügel macht bloß Wind, anstatt auf diesem zu steigen; so daß sie aus den Bildern, ja aus der Sprache endlich in den Klang zieht, und zwar als Assonanz und Reim nur hinten und vornen, wie Musikstücke nur mit dem Dreiklang beginnen und schließen. Wer jetzo gar nichts zu sagen hat, lässet in einem Sonett tanzen und klingen, so wie kluge Wirte, die saueres Bier zu verzapfen haben, tanzen und spielen lassen. Der Name Stanze paßt dann trefflich; denn so heißt das eiserne Instrument, womit man italienische Blumen macht und zuschneidet. Ich will das Jahr als mein frohestes preisen, das 12 Monate hat, wo ich kein Sonett höre und sehe; so erbärmlich jagen uns auf allen Gassen Musenpferde mit diesem Schellengeläute nach, von Reitern besetzt, deren Mantelsäume und Kappen gleichfalls läuten. Die Reim-Quellen, welche Klopstock auf einige Jahre zutrat, springen um desto gewaltsamer und lustiger an allen Enden in die Höhe. Ich bin keine Minute auf diesem Eilande sicher, daß – so wie es in Italien polyphemische oder liebklagende Sonette (sonetti polifemici), burleske, Schiffer-, Schäfer-, geistliche (s. spirituali) gab – nicht während der Vorlesung zu allen diesen noch Helden- und Lehrgedichte und Trauerspiele aus lauter Sonetten erfunden werden.

Wäre Bouterweks angenehme Vermutung richtig, daß der Reim durch den Widerklang aus den deutschen Wäldern entstanden: so ließe der jetzige Holzmangel manches hoffen; aber ich glaube, gerade jede Leerheit kommt den Echos zupasse. Leute, welche weder Begeisterung noch Kräfte, nicht einmal Sprache besitzen, ringen der letzten ein ausländisches Qualgedicht ab und legen uns diese Form, als sei sie poetisch gefüllt, auf den Tisch; so suchen die armen Kartäuser, denen Fleisch verboten ist, folglich auch Würste, sich damit etwas weiszumachen, daß sie Fische in Schweinedärme füllen und dann laut von Würsten reden und speisen. Wunderlich stechen gegen die älteren Sonette, z. B. eines Gryphius, welche, obwohl in der Stammelzeit der deutschen Sprache, mit Leichtigkeit und Reinheit und Bildung fließen, unsere neuern ab, die mit der mehr geübten Zunge nur stottern, plärren und poltern und die als Antitrinitarier der drei Grazien sich aklle möglichen Sprech- und Denkfreiheiten nehmen müssen, um nur zu sagen: Ich singe. – Freilich in bessern ruhigern Stunden will es mir sogar vorkommen, als sei eben für eine besondere Unbeholfenheit in Sprach- und Versbau und für gewisse Armut an Feuer und Farbe gerade das Sonett als das einzige Vehikel und Darstellmittel brauchbar und für diese Dichtart unentbehrlich, und zu meiner Freude wurd’ ich, obwohl figürlich, darin bestätigt, als ich im Rabelais las, daß gewisse Nonnenklöster schamhaft ei pet nicht anders nannten als ein sonnet; daher können wir immerhin für gedachte Gedichte den Namen sonnet aus griechischer Nennmilde (Euphemismus) fort gebrauchen, sobald wir nur immer den Reim darauf (im Sinn) behalten.