Moritz Hartmann                  Lenau

1821 – 1872

Ein Klosterbau mit altverfallnen Bogen –

Da sickert Düsternis aus Zell’ und Saale

Wie dunkler Trank aus der gesprungnen Schale,

Und alles ist von Wolken überflogen.

 

Die Nessel brennt auf Christi Wundenmale,

Der Quell erzählt in leisen Monologen

Von Glück und Glauben, längst vorbeigezogen –

Ein Waldhorn tönt, doch fern, ach, fern im Tale.

 

Was hauste wohl vor Zeit in dem Gemäuer?

Herzzehrendes Savonarola-Feuer?

Faust-Grübelei? Wie? Don Juan-Gelüste?

 

Efeu und Rosen wuchern auf gemeinsam

Mit Dorn und Unkraut – immer mehr wird’s einsam

Wie Wahnsinn unentrinnbar wird die Wüste.

 

 

 

Moritz Hartmann                  In der Heimath

1821 – 1872

Es ist ein tiefes Thal – die Lüfte schweigen,

Des Baches Wellen lispeln kaum im Fliehn –

Kaum, daß die Stürme, die darüber ziehn,

Der Ulme ruhevolle Wipfel neigen.

 

Die Nebel, die aus seinen gründen steigen,

Des Mühlrads dumpfe Schlummer-Melodieen

Umschlingen sich zu nächt’gen Harmonieen,

Wie Elfentänze mit der Gnomen Reigen.

 

Hier darf ein Herz friedvollen Taktes schlagen,

Hier darf es wieder sich zu trauen wagen,

Und liebend glauben, was es selbst ersinnt.

 

Hier darf der Geist den müden Fittig senken,

Das Aug’ am Himmel, seiner Erde denken,

Bis wieder um die Welt sein Flug beginnt.

 

 

 

 

 

Moritz Hartmann                  Wilhelm von Humboldt

1821 – 1872

Nur wen’ge Bürger beider welten lebten,

Der himmlisch hohen und der menschlich tiefen;

Wie wen’ge gab’s, die nicht beklommen bebten,

Wo beider Wege in einander liefen!

 

Wenn in der Zeit die Truggestalten schwebten,

Und die im Innern nicht mehr träumend schliefen,

Wie Wenige, die sie in Eins verwebten

Und sie durch Liebe zur Belebung riefen!

 

Er that – des Gemüthes Blumengärtner,

Wilhelm von Humboldt, der Gedankenwärtner,

Er war’s, der liebbegabte Liebegeber.

 

In seines wesens abgeschloss’nem Panzer

War im zerstückten All er stets ein Ganzer

Und also schon ein Geist- und Herzerheber.

 

 

 

 

 

 

 

 

Moritz Hartmann                  Des Kaisers Geist

1821 – 1872

Durch Oestreichs Völker geht die fromme Sage,

Der Kaiser Joseph sei noch nicht gegangen

Zu seinen Vätern, sondern sei gefangen

Bei schlechtem Türkenvolk noch heut zu Tage.

 

Ein wächsern Bild nur liegt im Sarkophage,

Der Kaiser lebt im ewigen Verlangen,

Daß er zu seinem Volk nicht kann gelangen,

Zu hören und zu schlichten seine Klage.

 

Des Volkes Kinderblick durchdringt die Hüllen:

Der Kaiser lebt in Geist und Freiheitswillen,

Die schlechte Heiden jetzt in Banden halten.

 

Des Volkes Glaube wird ihn einst beschwören,

Die Fessel sprengt er dann und kommt zu hören,

Dann bebt, ihr Heiden, denn die Gläub’gen walten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Moritz Hartmann                  Letzter Glaube

1821 – 1872

Wer wird dem Sagenwort nicht glauben wollen!

Und das erzählt: Wenn Einer ist verschieden,

Nicht ruht er gleich im vollen Grabesfrieden,

Noch bleibt die Lust an Lieben, Haß und Grollen.

 

Noch gleicht sein Haupt dem Kelch, dem übervollen,

Ein ganzes Leben noch umgeschwirrt den Müden;

Er wird von Lust und Leid erst dann geschieden,

Wenn schon das Grab die letzte deckt der Schollen.

 

Und wie es ist im Grab mit diesem Einen,

So will das ganze Menschenvolk mir scheinen,

Wenn es im Grabe liegt der Weltentrümmer.

 

Es kann das Herz von seinem Weh nicht lassen,

An Lieb’ und Freiheit wird der Glaub’ erblassen,

Wenn mit ihm stirbt der letzte Sternenschimmer.

 

 

 

 

 

 

 

 

Moritz Hartmann                  Unmuth

1821 – 1872