Johannes Neubig                     Der sterbende Christ

um 1800

Liebesüßes Lebensblümchen mein,

Nun erst magst du mir das Herz erfreuen!

Hier verwelkt wird sich dein Glanz erneuen

Dort in Gottes ew’gen Sonnenschein.

 

Kannst ja Knospe nur hienieden seyn,

Unentfaltet in den kurzen Maien!

Blühend wirst du Nektardürste streuen

Dort in deinem Vaterland’ allein.

 

Was ich lebte, war am Himmelsbogen

Morgendämm’rung eines Tages bloß,

Der, noch unter flücht’gem Purpurkuß

 

Von Aurora’s Lippen weggeflogen,

Wieder in des Abends Dämmerschoß

Starb mit halbgesproch’nem Scheidegruß.

 

 

 

Johannes Neubig                     Der wahre Klang und Sang

um 1800

1.

 

Die Welt, sie ist nun einmal so und spricht

Von Opern nur, von Sängern, Harmonien,

Konzerten und dergleichen Phantasien,

Und führt darüber gar ein scharf Gericht.

 

Kräht irgendwo ein armer Notenwicht;

Da klingen wunderschön die Melodien,

Da darf es ihm den Mund ganz krum verzieh’n,

Da ist die Welt ganz Ohr und ganz Gesicht.

 

Der singt ihr „göttlich“, will sie vornehm wissen.

Doch Gottes wahre Stimme, ganz gerecht,

Nur die klingt ihr im eignen Busen schlecht.

 

Ist auch des Herzens Harmonie zerrissen;

Da spricht die Welt, da sieht, da hört sie nicht

Und führt darüber gar kein scharf Gericht.

 

 

2.

 

Die Welt, sie ist nun einmal so verkehrt,

Weil sie der Klangkunst heil’ge Geisterschwingen,

Die laut der Sphären höh’re Ahnung klingen,

So taub im vielbesaiteten Konzert

 

Auf ernster Lebensbühne nicht bewährt

Und, statt des Schalles Schale zu durchdringen

Und innern Lebenskern ihm abzuringen,

Der tauben Hülfe todten Kitzel ehrt.

 

So läßt die edle Frucht man lieber liegen

Und leere Spreu muß uns dafür vergnügen,

Und ist die Welt jetzt doch so aufgeklärt!

 

Wie, aufgeklärt wohl gar für Himmelsweihen?

Schal sammt dem Schwall von Schallereien:

Die Welt, sie ist nun einmal so verkehrt!

 

 

3.

(Das Herz, ein ganzes Orchester)

 

Der Mensch mit sich ein ganz Orchester trägt.

Spielt denn das Herz nicht jedes Instrument

Der Trauer wie der Lust ganz excellent,

Von jedes Lüftchens Hauche leicht geregt?

 

Es flötet Hoffnungsklänge sanftbewegt.

Verzweiflung brüllt den Kontrabaß und stöhnt.

Der Wünsche Lusttrompete nimmt kein End’.

Der Pauker Zorn rast, lärmt, schwärmt, stampft und schlägt.

 

Dort hört die Liebe man in Tönen girren,

Die nachtgespensterisch das Blut durchschwirren.

Furcht spielt die Cither pianissimo.

 

Dort brummt die dumpfe Schwermuth im Fagotte,

Dort all der Narrheit mißgestimmte Rotte,

Dagegen jauchzt der Freude Piccolo!

 

 

 

4.

(Tugend, der beste Kapellmeister.)

 

Wenn in die Luft den Traum von Seligkeiten

Der Wünsche Heer trompetet unerreicht,

Den Busen uns mit blinder Wuth beschleicht

Der Leidenschaften unharmonisch Streiten:

 

Solch ernstes Spiel auf schwachen Herzenssaiten,

Wo jeder Mißgriff der Natur so leicht

Des Lebens Takt und beßte Noten streicht,

Nur weiße Tugend kann es glücklich leiten.

 

Hier zeige dich als Virtuosen mir,

Und nicht auf todtem Modeinstrument!

Der wahre Klang lebt nur im Herzen dir.

 

Du singst, daß man dir Lorberkränze flicht?

Du spielst, daß dich ein lauter Beifall krönt?

Versing’, verspiele nur dich selber nicht!

 

 

 

5.

(Musikalische Gewissenserforschung.)

 

Der schönste Klang, der ist ein frohes Blut,

Das schuldlos in der Tugend Adern springt.

Der weise Frohsinn hell wie Silber klingt,

Wie Blei der Rohsinn und der Tollsucht Brut.

 

Der höchste Klang, ist’s nicht ein hoher Muth,

Den edler Ruhm und Thatenklang beschwingt

Und keine schnöde Weltlust niederringt?

Nur über Sternen thront das höchste Gut.

 

Der reinste Klang? O juble, rein Gewissen!

Denn nur die schwarze Herzpest knirrt und knarrt,

In rohem Lust- und Lasterrost erstarrt.

 

Der beste Klang auf ernstem Sterbekissen?

Ein fromm Gemüth, vor keinem Tode bang,

Das klingt so himmlischsanften Uebergang.

 

 

6.

 

O selig stirbt und singt, sein eigner Schwan,

Wer Gott, den Herrn, in jedem Thatenstreben

Als Echo wiederhallt und treuergeben

Nur Seiner Stimme folgt auf beßrer Bahn.

 

Nur kurzer Klang ist hier des Daseyns Wahn.

Sanft wird auf Himmelsharmonien entschweben

Der reine Geist zu ew’gem Klang und Leben.

Ihn tragen Seraphstimmen himmelan.

 

Dort schwelgt er goldnen Sternensaal entlang

Entzückt in süßer Töne vollem Meer.

Der ganze Himmel ist Ein Freudenklang.

 

In Kreistanz hin mit rascher Schwingenmacht

Rauscht rings ein tausendfaches Jubelheer,

Und schöner wechselt stets der Scenen Pracht!

 

 

7.

 

Ja, Herz- und Lebensklang, stets lasterrein,

Der rings die Schöpfung und selbst Gott erfreut,

Du bist mir einst das schönste Sterbgeläut,

Mir Wonne schallend in das Grab hinein!

 

Zu spät und schwerer als der Leichenstein

Drückt jede schnöde Lust voll Schmerz bereut,

Die schmeichelnd nur Sirenenarme beut

Zu sich’rem Sturz in ew’ge Schlangenpein.

 

Ist Gottes Stimme nicht in aller Welt

Die schönste nun? O ganz gewiß gefällt

Sie jetzt! Gott ist wohl auch kein Ohrenhänger!

 

Die Welt, sie ist nun einmal so und spricht:

„Je nun, die Stimm’ gefällt nun einmal nicht!“

Ah so! Gott ist gewiß kein Opernsänger!

 

 

ðAntwort von Johannes Greger

 

 

 

 

Johannes Neubig                     Der Regenbogen

um 1800

O Zauberring, in schönstem Strahlenprangen

Voll Perlen und Demantenpracht umflossen,

Bist du von Sonn’ und Regen wohl entsprossen,

Die Welt mit Friedensarmen zu umfangen?

 

Ihr Edlen, die in schwerem Seelenbangen

Als eurer Erdenleiden Kampfgenossen

Der stillen Thränen viel für Gott vergossen,

Seht ihr dort eure Zähren jubelnd hangen?

 

Als Himmelsperlen fing in goldnen Schalen

Der Herr sie auf, triumphverklärt zu strahlen

Als wundervoller Sieg- und Friedensbogen.

 

O Lust und Schmerz! O Sonnenschein und Regen,

Du Lebensbild! Ihr Thränen, hier gelegen

In Nacht und dort mit Himmelsglanz umzogen!

 

 

 

 

Johannes Neubig                     Werth des Lebens

um 1800

1.

 

Vor dem freien Odem nachtumgeben

Als ein Keimchen der Unendlichkeit

In dem Mutterschooß der Erdenzeit:

Eng beginnt und dunkel unser Leben.

 

Eng noch liegt es (eine Welt im Streben

Aus des Säuglings Eingebundenheit

Zu der Freiheit goldnem Lichtgeleit)

In der Wiege zarten Traumgeweben.

 

Seiner Größe dann bewußt durchbricht

Aufgewachter Geist des Schlummers Schranken,

Und im hohen Blitzflug der Gedanken

 

Schwärmt er, bald unendlich weit und licht,

Stolz hinaus noch über Sonnenstrahlen.

Dienstbar muß das All Tribut ihm zahlen.

 

 

2.

 

Liegen zwischen Mutterschooß und Licht

Klüfte der Unendlichkeit erhoben

Hier schon, wo der Geist, noch staubumwoben,

Sich mit schwerer Fessellast umflicht;

 

Wie unendlich höher fährt er nicht

auch dem Kerkerleben fort nach oben,

Wann der Erde Theil ihm ganz entstoben

Und der Tod ihm einst die Bande bricht!

 

Sie, es flimmert dort ein Stern herein.

Schaut ihn wohl, wie hier die Erdennacht,

Auch des Lichtes Heimath trüb und klein?

 

Über all die Sterne groß und hell

Flammt, o Geist, dein Leben angefacht

Einst an Gottes ew’gem Sonnenquell!

 

 

3.

 

Wie erfass’ ich euch, o Ewigkeiten,

Wie, o Leben dich, im Sternenschloß?

Geist, du Weltallfürst und Herr so groß

In der Elemente Widerstreiten,

 

Was sind hier all deiner Allmacht Weiten?

Nichts, ein schwaches enges Pünktchen bloß,

Wie der Leib, den dir die Erde goß,

Nimmer kann zum Weltenall sich breiten.

 

Tod, du Brücke zur Unmeßlichkeit,

Wo der Geist, ein ganzer Weltenraum,

Fessellose Feuerpfeile blitzt:

 

Auf zerplatztem letztem Lebensschaum,

Der mein Fünkchen zu den Sternen spritzt,

Schiff’ ich einst von dannen hocherfreut!

 

 

 

 

Johannes Neubig                     An König Ludwig von Bayern

um 1800

1.

 

Walhalla! Welch ein Anblick! Welch Entzücken,

Erhab’ner, größer, als mein Geist gedacht!

So majestätisch ganz wie Sonnenpracht

Entstrahlst du von des hohen Staufen Rücken!

 

Im ganzen Umkreis Berg und Wald sich bücken

Vor deiner Himmelshöhe Herrschermacht

Ob Donner dumpfherrollend dich umkracht;

Du, feste, wirst den Drachen Blitz zerdrücken.

 

Zu deinen Füßen wälzet unterthan

Die Donau mächt’ge Wasserfluth heran

Und woget dir ein tosend Feierlied.

 

Zum Weltenwunder bist du ja ersehen,

Da Ludewig, der Große, deinen Höhen

Den Thron der deutschen Größe herbeschied!

 

 

2.

 

Wie, hat mein Auge, hat mein Ohr gelogen?

Wahrhaftig nimmer! Vater Ister hebt

Sein graues Götterhaupt ja lustdurchbebt

Und sangumrauscht aus tiefgespalt’nen Wogen.

 

„Ja, Ludwig’s Name hat mich nicht betrogen.

Ein Zauber, der, mit Ahnungen umwebt,

Geheimnißvoll mir längst im Geiste lebt,

Er hat mich aus der dunklen Fluth gezogen.

 

Im Werk erschau’ ich hier, dem göttervollen

Und Seinem Geist’ im Zauberbild entquollen,

Was hohe Kunst je Großes werden sah.

 

Den Blick auf alles Hohe hingewendet,

Was je der deutsche Genius gespendet:

Ein Göttertempel steht Er selber da!“

 

 

3.

 

„Viel Herrliches, was ihren Ruhm gekündet,

Erblickt’ ich schon in Ratisbona’s Auen.

Von Roma’s Helden prangt, den schlachtenrauhen,

Manch Denkmal noch an meinem Strand gegründet.

 

Dort stehet, wie der Höllenmacht verbündet,

Der Steinkoloß*. in stolzem Selbstvertrauen

Starrtrotzend meinen scharfen Wolkenklauen.

Doch Ludwig hat mir höher’n Glanz gezündet.

 

Ihr deutschen Götter alle fern und nah,

Ihr Helden, Barden, Künstler, ziehet ein!

Der Bau wird eurer Hoheit würdig seyn.

 

Auf einem Punkt steht ganz Germania

Vereint allhier, wie ich bald auch durch Ihn

Mit meinem deutschen Rhein verbunden bin.“

 

 

*die berühmte Regensburger Donaubrücke.

 

 

4.

 

„Halt, Woge! Nicht so rasch vorübereilen!

Die Schiffe, so auf mir heruntergleiten,

Die Wandrer, so des Weges hurtig schreiten,

All steh’n anstaunend hier sie still und weilen.

 

Zum See möcht’ ich um diesen Berg, den steilen,

Die Fluthen, Ludwig’s Ruhm hersprudelnd, breiten.

Zum See nur? Nein, in fernste Meeresweiten

Entwog’ ich ihn nach allen Weltentheilen.

 

Gern dienstbar will ich Seinem Reich’ vasallen,

Mit ew’gem Dank den Scepter Ihm umwallen.

Bei heil’ger Götterurne sey’s beschworen!

 

Soviel ich Perlenthau ihr jetzt entgieße;

In vieler Jahre Zahl so glanzvoll fließe

Sein Lebensborn, zum Völkerglück erkoren!“

 

 

 

 

 

 

Johannes Neubig                     An Eduard von Schenk

um 1800

Noch immer denkst Du liebgewogen mein!

Wenn Wolken meinen Himmel trübumziehen

Und alle Freuden meine Tage fliehen,

Erquickt mich Deiner Großmuth Sonnenschein.

 

Noch immer ist Dein Herz ein Edelstein.

Ist Dauer fest und fleckenrein gediehen

Und wohl für Ludwig’s Krone gottverliehen,

Schließt er des Glanzes schönen Himmel ein.

 

O laß die süße Wahrheit mich bekennen:

Dich darf ich mehr denn meinen Gönner nennen,

Dich, thronend im pierischen Verein.

 

Neu lebt mein Herz, in Jubel überwallend;

Die Thräne glänzt mir aus dem Auge fallend.

Noch sterbend denk’ ich danklebendig Dein!

 

 

 

Johannes Neubig                     In heiliger Christnacht

um 1800

Triumph! Es jauchzen heil’ge Glockenklänge,

Herwirbelnd in harmonischem Umwogen.

Wie magisch fühlt das Herz sich angezogen,

Zu eng für übervolles Lustgedränge!

 

O Wundernacht, des Tages Vorgepränge!

Der Herr des Friedens naht, im Siegesbogen

Von seiner Engel Jubelchor umflogen,

Und in die Lüfte schallend Festgesänge.

 

In seiner Väter Glauben nie betrogen,

Rings wallt, vom Feierlichen angetrieben,

Des Volkes fromme Schaar in Gottes Hallen.

 

Und froher sinnt es im Nachhausewallen,

Hat aus des Jesukindleins Blick, dem lieben,

Sich Trost und Frieden in das Herz gesogen!

 

 

 

 

Johannes Neubig                     Christkindlein

um 1800

Süßgoldchen, willkommen,

In himmlischen Schein

Wie purpurumschwommen!

All freu’n wir uns dein!

 

Liebherrchen, beklommen

Was weinest allein?

Soll wiedergenommen

Das Freudige seyn?

 

Uns ziemet das Weinen

Und Leidensgeschick,

Da Sünder wir sind.

 

O lächle nur einen

Begnadenden Blick,

Allmächtiges Kind!