Zu Beginn möchte ich, um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen,
betonen, daß es natürlich auch andere schöne Gedicht-formen und auch gute freie
Gedichte gibt, daß auch solche Sonette, die nicht die strengste Form erfüllen,
durchaus ihre literarische Berechtigung haben können, als Beispiel seien hier
nur Rilkes „Sonette an Orpheus“ genannt. Wenn also im folgenden von guten oder
unsauberen Sonetten die Rede sein wird, bezieht sich die Kritik allein auf die
Form. Abweichungen können in Einzelfällen toleriert werden, aus dem Inhalt
sogar ihre Begründung erfahren, aber das soll an anderer Stelle thematisiert
werden.
Die Ursprünge,
liegen weitgehend im Dunkel, doch hat es sich als eigenständige Form im
italienischen Mittelalter herauskristallisiert. Seine Erste Blüte erfuhr das
Sonett durch die Dichtungen Petrarcas und Dantes. So haben vor allem auch
Petrarca-Übersetzungen zur Verbreitung des Sonetts in Europa beigetragen.
In
Deutschland wirkte vor allem Opitz, Anfang des
17.ten Jahrhunderts, an seiner Einführung, in dem er neben den
Petrarca-Übertragungen und eigenen Sonetten, auch mit seinem Lehrbuch von der
deutschen Poeterey für ein wachsendes Formbewußtsein in der deutschen Dichtung
eintrat, und viele Zeitgenossen für das Sonett begeisterte. Eine Reihe sehr
eindrücklicher Sonette entstand im Eindruck des 30-jährigen Krieges, aber wohl
nicht zuletzt durch den kriegsverlängernden Einfluß der Franzosen am Ende des
Krieges gerieten romanische Tratiotionen in Verruf und die nach wie vor
klassikbegeisterten Künstler Mitte des 17.ten bis Mitte des 18ten Jahrhunderts
suchten eher in griechischen Formen ihr Heil, bis die Romantiker, vor allem
Bürger und Schlegel wieder eine Lanze für das Sonett brachen.
Seitdem
ist die Reihe der Sonettisten in Deutschland nicht mehr abgerissen. Um die
Verbreitung und Dauerhaftigkeit des Sonetts zu erklären, müssen wir uns
natürlich das Sonett selbst etwas näher betrachten.
Der
Begriff „Sonett“ stammt aus dem Italienischen und heißt soviel wie „Tönchen“
oder „kleiner Klang“. Andreas Gryphius prägte dafür die deutsche Bezeichnung
„Kling-Gedicht“. Auch wenn sich sein Begriff nicht dauerhaft durchsetzte, sagt
er doch etwas wesentliches über das Sonett aus: Es muß klingen. Ein gutes
Sonett hat immer auch eine musikalische Qualität.
Und so
wurden die klanglichen Hilfsmittel des Dichters, wie Metrum und Reimschema,
streng durchdefiniert, ganz gemäß dem klassischen Ideal der Einheit des Guten,
Wahren und Schönen.
Manche
Regeln sind durchaus umstritten und, zumal in unterschiedlichen Sprachen, auch
mehrfach variiert worden. Doch schauen wir uns zunächst den Prototypen eines
Sonetts an:
Ein Sonett besteht aus 14 meist elfsilbigen
Zeilen. Und da haben wir schon das erste „meist“, denn während man in Italien
ursprünglich jede Silbe zählte, zählt man in Frankreich und Deutschland die
Hebungen, das heißt ein gutes Deutsches Sonett enthält nur bei weiblichen, also
weichen, unbetonten Endungen im üblichen
fünfhebigen Jambus seine 11 Silben, während die Franzosen ihren
Alexandriner bevorzugen. Eine Ausnahme bilden die Briten, die konsequent hart
reimen. Das englische Spencer- oder Shakespear-Sonett unterscheidet sich aber
noch in einem wichtigeren Punkt von Kontinentalen Sonetten. Es zerfällt nicht
wie Festland-Sonette in je zwei Quartinen und Terzinen, sondern besteht aus
drei Quartinen und einem abschließenden Reimpaar. Die Quartinen bestehen zudem nicht aus umschlingenden, sondern
aus Kreuzreimen, die zwar auch bei manchem kontinentalen Dichter zu finden
sind, aber doch lange weitgehend verpönt waren.
Vergleichen Sie
dazu auch die Ausführungen von August Wilhelm Schlegel.
Die
Terzinen dagegen, ursprünglich auch umschlingend angeordnet, wurden bereits
frühzeitig weitgehender Variation freigegeben. Nur in Deutschland und
Frankreich findet sich die Verwendung von 4 Reimpaaren in den Quartinen, also
„abba-cddc“, statt „abba-abba“ oder „abba-baab“. Wie oben erwähnt, finden sich
auch einzelne Kreuzreimende Sonettisten („abab-baba“), eine Mischung beider
Quartinenformen nach dem Muster „abba-abab“, oder gar „abba-cdcd“ wird
gemeinschaftlich strengstens geächtet!
Sonett-Variationen
gingen sogar schon so weit, daß zusätzliche Verszeilen eingefügt oder angehängt
wurden. Solche Extravaganzen sind allerdings immer auch schnell wieder
verschwunden. Manche waren einfach zu weit von der Ursprungsform entfernt um
noch vom Gattungsbegriff „Sonett“ abgedeckt zu werden, andere Varianten werden
als „unsaubere Sonette“ abqualifiziert. Vermutlich wäre es dem Englischen
Sonett genauso ergangen, hätte Shakespeare seine Form nicht so konsequent
durchgehalten. Wobei Spenser noch der formstrengere Dichter war, wechselte er
doch von einer Quartine zur nächsten nur eine Endung aus, so daß die Strophen,
ähnlich wie bei Terzinengedichten ineinander verschränkt sind.
Man
kann das vielleicht evolutionär beschreiben, manche Veränderungen werden als
positiv erkannt, oder machen sich zumindest nicht negativ bemerkbar, aber um
eine neue Art zu begründen, braucht es eine gewisse Population.
Aber
nicht nur die Reimanordnung wird variiert, neben dem klassischen fünfhebigen
Jambus, oder Alexandriners, finden sich zunehmend auch andere Versmaße, seien
es vierfüßige Jamben und Trochäen, seien es Anapest und Daktylus, Beinahe jedes
Versmaß ist, wenn auch von manchem orthodoxen Sonettisten unwillig beäugt,
inzwischen möglich. Als unschick gilt es allerdings das Selbstgewählte Versmaß
zu brechen. Das „Ebenmaß“ der Sonettzeile gilt noch immer als heilig.
Kulturpessimisten
könnten an Hand des Sonetts leicht darstellen wie eine geradezu sprichwörtlich
strenge Form mit der Zeit immer weiter aufgelöst wurde, allerdings ist auch
eine gegenläufige Entwicklung zu bemerken: